Ihr werdet im Laufe eurer Ausbildung zwangsläufig in Situationen kommen, in denen ihr irgendetwas von eurem Chef oder eurer Chefin wollt. Und wenn es der Urlaub ist, eine neue Arbeits-Jacke, die Genehmigung für einen Auslandsaufenthalt, eine Tarifanpassung, fehlendes Werkzeug, Scheiß Kollegen und soweiter. Wir haben wahrgenommen, dass viele Auszubildende versuchen einen großen Bogen um solche Gespräche zu machen und lieber ihre Themen in sich reinfressen. Darum dazu ein paar Gedanken.
„Ich hatte von Anfang an kein gutes Verhältnis zu meinem Chef. Er hat immer versucht einen auf Kumpel mit allen zu machen, nur um ihnen später trotzdem den Tariflohn vorzuenthalten. Ich habe gemerkt, dass mein Chef zuallererst mein Chef ist und nicht mein Kumpel. Und dass ich ihn deswegen auch nicht duzen möchte. Er hat es mir zwar angeboten, aber ich habe abgelehnt. So fällt es mir einfacher, Dinge die mich stören anzusprechen und auch unterschiedliche Meinungen auszuhalten.“
Dein*e Chef*in ist auch nur ein Mensch. Oft einer der glaubt, ohne ihn geht die Welt (noch schneller) unter oder zumindestens der Betrieb. Er hat das hier alles aufgebaut, war noch nie krank, arbeitet 12 Stunden am Tag, muss euch alle in Lohn und Brot bringen und hat die ganze Verantwortung. Und dann kommst du als Auszubildender und hast auch noch Ideen, wie das vielleicht ein wenig besser laufen kann. Und er macht ein riesen Fass auf! Dazu können wir nur sagen: lass ihn seine Geschichte (zum x-ten Mal) erzählen und dich nicht aus dem Takt bringen. Wahrscheinlich bekommt er sonst wenig Anerkennung und musss sich deswegen vor dir profilieren. Das ist unangenehm und tendenziell will er uns ein schlechtes Gewissen einreden. Schließlich sollten wir doch eigentlich froh sein, dass wir überhaupt den Ausbildungsplatz von ihm bekommen haben und so weiter. Aus der Ferne betrachtet wirken diese ganzen „Argumente“ noch absurder. Dass er 12 Stunden am Tag arbeitet und nie Urlaub nimmt ist seine Sache und muss dich nicht angehen. Oder hast du ihn darum gebeten? Und du kannst davon ausgehen, dass er von deiner Ausbildung profitiert, sonst würde er es nicht machen. Deswegen ist er nicht besser als du. Du leistet deinen Teil, dass der Betrieb läuft und hast natürlich Interessen die du umsetzen willst. Dass das dann nicht unbedingt die des Chefs sind, mag sein. Nichtsdestotrotz brauchst du dich nicht verstecken. Geh selbstbewusst in Verhandlungen und lass dich nicht von der Machtkulisse einschüchtern die er aufbaut. Sei dir bewusst, was du leistest im Betrieb und mit wie wenig du abgespeist wirst. Gib deinem Chef vielleicht ein wenig Anerkennung, dann freut er sich. Viel besser verhandelt es sich, wenn man einen Alternativ-Betrieb in Rückhand hat. Je fortgeschrittener die Ausbildung ist, desto leichter findet ihr einen, weil ihr schon mehr könnt. Nachfragen kostet nichts. Wenn alles verhandeln nichts bringt, kannst auch du Ultimaten oder schlicht Forderungen stellen. Warum denn nicht?
„Ich wollte das letzte halbe Jahr der Ausbildung verkürzen und habe damit gerechnet, dass der Chef mir das untersagt. So habe ich mich vorbereitet und mir überlegt, dass wenn er sich weigert, ich ihm androhe einen anderen Betrieb zu suchen, der mich direkt mit der verkürzten Ausbildungszeit übernimmt. Ich war höllisch aufgeregt. Schlussendlich habe ich gar nicht „drohen“ brauchen, weil der Chef froh war mich ein halbes Jahr früher los zu sein ;).“
"Mein Chef hatte erfahren, dass er uns Auszubildenden vermeintlich nur 20 statt 24 Urlaubstage geben muss und wollte den Ausbildungsvertrag nachträglich ändern. Wir haben uns dann informiert und herausgefunden, dass wir tatsächlich Anspruch auf 30 Tage Urlaub haben. Zähneknirsichend musste er das akzeptieren, da er für sich selbst immer in Anspruch nahm, sich an Gesetze zu halten. Außerdem haben wir 2% mehr Lohn bekommen. Danach war es viel einfacher mit dem Chef in Verhandlungen zu treten, die anfängliche Scheu war verflogen. Meine Mitauszubildenden in der Schule wollten leider davon nichts hören, sie haben sich nicht getraut."
Bewährt hat sich quartalsweise oder halbjährlich mit der Chefetage ein Resümee über den Ausbildungsverlauf, die Vermittlung von Ausbildungsinhalten zu ziehen. Dann könnt ihr ansprechen was euch stört, was ihr gerne ändern wollte und bekommt vor allem ein wenig Routine rein, mit dem Chef zu sprechen.
"Meist bin ich sehr aufgeregt wenn ich etwas von meinem Chef möchte, oft stellt sich dann aber heraus, dass er die Punkte wie neue Arbeitshose und Urlaubszeitpunkt zumindestens aktzeptiert. Er hat mir auch schon mal durch die Blume gesagt, dass Leute, die was wollen, was sagen sollen. Dieser Ansatz ist hilfreich, weil man so neue Idee in die Firma bringen kann und sich eine bessere Situation verschafft. Der Chef merkt, dass man selber mitdenkt und nimmt mich als "besseren" Mitarbeiter war."
Bereite dich auf das Gespräch vor und versuche dir einen Wissensvorsprung zu erarbeiten. Dann kannst du Forderungen oder Fragen selbstbewusster vortragen. Gespräche zwischen Tür und Angel werden oft abgewürgt, weil andere Termine drängen. Am besten du bittest um einen Gesprächstermin, dann kannst du dich darauf vorbeiten. Es ist politisch nicht erstrebenswert, aber meistens nehmen sich die Chefs eher nach deinem Feierabend Zeit für deine Anliegen, gerade wenn sie einer Diskussion bedarfen. Nach einem erfolgreichen Auftragsabschluss sind Chefs bewilligungsfreudiger.